Wie es zum Regierungsbruch im Winter 2025 kam

Im Winter 2024 führte der Streit um die Schuldenbremse zum Zerfall der Ampelkoalition - ein Beispiel dafür, wie wirtschaftspolitische Entscheidungen das politische System erschüttern können.

Von Leopold Paireder

Letzte Überarbeitung: 18.2.25

Viele Worte wurden bis jetzt über Schulden, die Schuldenbremse und viele andere wirtschaftspolitische Themen geschrieben. Doch welche Auswirkungen haben diese Themen auf die reale Welt, fern von Gesetzen und Finanzen? In diesem Text möchte ich Ihnen das wohl im Moment bekannteste Realbeispiel erzählen, das die Bedeutung der Schuldenbremse für jeden Einzelnen klar herausstreicht. Freilich konnten Sie bereits erraten, über welches Ereignis ich schreibe: Es geht selbstverständlich um den Bruch der Bundesregierung im Winter 2024. Doch lassen Sie mich Ihnen erklären, wie es dazu kam und welche Rolle die Schuldenbremse bei diesem Fiasko spielte:

Der Anfang vom Ende begann am 29.09.2024. An diesem Tag trafen sich die wichtigsten FDP-Politiker*innen, um ein Projekt unter dem Stichwort "D-Day" zu planen. Bei diesem Treffen wurde nichts Geringeres als ein möglicher Ausstieg aus der rot-grün-gelben Koalition vorbereitet. Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen? Um das zu verstehen, müssen wir ein paar Jahre zurückblicken. Seit der Bildung der Koalition im Dezember 2021 gab es wiederholt Meinungsverschiedenheiten, insbesondere in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Ein entscheidender Streitpunkt war die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse, die die Neuverschuldung des Bundes begrenzt. Während SPD und Grüne für eine flexiblere Handhabung plädierten, bestand die FDP auf deren strikter Einhaltung.

Im Oktober 2024 legte Christian Lindner dann ein 18-seitiges wirtschaftspolitisches Konzeptpapier vor, das eine radikale Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik forderte. Zu seinen Vorschlägen zählten die Abschaffung des Lieferkettengesetzes und des Tariftreuegesetzes, die Senkung von Asylleistungen und Steuern sowie eine Reduktion der Klimaziele. Diese Forderungen standen im starken Gegensatz zu den Positionen von SPD und Grünen. Lindner erhielt für sein Papier Unterstützung aus der Wirtschaft, unter anderem von Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf und ifo-Präsident Clemens Fuest, die seine Vorschläge als notwendige Maßnahmen zur Entlastung der deutschen Wirtschaft ansahen. Die ablehnende Haltung der Koalitionspartner gegenüber seinen Reformvorschlägen verstärkte Lindners Zweifel an der Zukunftsfähigkeit der Koalition.

Angesichts wirtschaftlicher Herausforderungen und des Bedarfs an Investitionen in Bereiche wie Energie, Automobilindustrie und Unterstützung für die Ukraine sah Bundeskanzler Olaf Scholz die Notwendigkeit, die Schuldenbremse zu reformieren. Er argumentierte, dass die strikte Einhaltung der Schuldenbremse die Handlungsfähigkeit des Staates einschränke und dringend benötigte Investitionen verhindere. Scholz betonte, dass Deutschland nicht zwischen Sicherheit und Wohlstand wählen solle, und plädierte dafür, die Schuldenbremse zu überarbeiten, um sowohl die Unterstützung der Ukraine als auch die Stabilisierung von Renten und Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.

Am 6. November 2024 trafen sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zu einem entscheidenden Krisengespräch. Scholz forderte Lindner ultimativ auf, die Schuldenbremse auszusetzen, um diese wichtigen Investitionen zu ermöglichen. Lindner lehnte dies mit Verweis auf seinen Amtseid ab und schlug stattdessen vor, gemeinsam geordnete Neuwahlen anzustreben. Scholz wies diesen Vorschlag zurück und kündigte noch am selben Abend an, den Bundespräsidenten um Lindners Entlassung zu bitten.

Unmittelbar nach der Ankündigung von Lindners Entlassung traten die FDP-Minister Marco Buschmann (Justiz) und Bettina Stark-Watzinger (Bildung) von ihren Ämtern zurück. Volker Wissing (Verkehr) entschied sich hingegen, im Kabinett zu verbleiben, trat jedoch aus der FDP aus. Bundeskanzler Scholz ernannte Jörg Kukies zum neuen Finanzminister. Wissing übernahm zusätzlich das Justizressort, während Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) das Bildungsministerium kommissarisch leitete. Scholz kündigte nach diesen erschütternden Ereignissen an, die Vertrauensfrage in der ersten Sitzungswoche des Bundestags im Januar 2025 zu stellen, um den Weg für Neuwahlen zu ebnen. Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) forderte jedoch eine frühere Klärung und drängte darauf, die Vertrauensfrage bereits bis spätestens Mitte November 2024 zu stellen. Nach weiteren Verhandlungen einigten sich die Parteien darauf, die Vertrauensfrage am 11. Dezember 2024 zu stellen und bei negativem Ausgang Neuwahlen für den 23. Februar 2025 anzusetzen.

Wie nicht anders zu erwarten, verlor Olaf Scholz die Vertrauensfrage am 11. Dezember, und so löste Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Parlament am 27.12. auf und bestätigte den vorgeschlagenen Termin (23.02.2025) für die Neuwahlen.

Anhand dieses Realbeispiels kann man wunderbar erkennen, wie stark Wirtschaft und Politik ineinander verwoben sind. Vor allem ist spannend es zu sehen, welche enorme Macht dieses Gesetz hat: Es kann einen Staat vor dem Ruin bewahren oder auch, wie man hier sehen kann, eine ganze Regierung zerstören.